Die Geschichte des K.S.

Manche Geschichten findet man in keinem Geschichtsbuch, in keiner Chronik und in keinem Nachschlagewerk. Es existieren, wenn überhaupt, Sagen oder Erzählungen, die sich das einfache Volk an kalten Winterabenden vor dem warmen Ofen zuflüstern. Sie sind grausam und brutal, irrwitzig und unglaublich. Kleine Kinder lehren sie das Fürchten, Frauen bleibt das Herz stehen und Männer bekommen eine Gänsehaut wenn sie sie hören. Gerade deshalb üben sie eine solche Faszination aus. Die sagenumwobenen Erzählungen über den Seeräuber Klaus Störtebeker sind eben aus diesem Holz geschnitzt, jedoch verhält es sich mit ihnen wie mit so vielen Sagen, die eine Hälfte stimmt, die andere ist frei erfunden. Und wie es nun wirklich zugetragen hat, das weiß keiner so genau. Keiner? Oh doch, über den alten Störtebeker will ich euch die Wahrheit erzählen, die volle Wahrheit, und mit den einhergebrachten Fakten brechen. Wie hanebüchen es sich auch anhören wird, es ist doch nichts als die reine Wahrheit.

Entgegen der landläufigen Meinung ist Störtebeker gar kein Fischkopp. Man dachte zwar bisher, er käme aus dem Norden, doch so ungewiss sein Geburtsort ist, so falsch sind die Annahmen. Nicht Verden, nicht Wismar, nein in Finsterwalde wurde er geboren. Finsterwalde war zu seiner Zeit ein verschlafenes Bauerdörfchen im trostlosen, sandigen Niemandsland der Niederlausitz.

Fischernetze und Angelhaken konnte man dort jedenfalls vergeblich suchen. Oft wurde das Örtchen durch plündernde Söldnergruppen heimgesucht oder von feindlichen Armeen bis auf seine Grundmauern niedergebrannt. Der junge Klaus Störtebeker, damals hieß er noch Ewald Siegmut Krösiken, wuchs in erbärmlichen Verhältnissen auf und war von Kind an nicht anderes gewohnt als sich durchs Leben zu kämpfen. Als Jugendlicher verließ er sein ärmliches Dorf und streifte als Vagabund durch die sächsischen Wälder. Er schloss sich verschiedenen Söldnergruppen an und gelangte schließlich Kozebus (heute Cottbus), wo ihn die Sehnsucht nach der See packte.

Ich muss in diesem Zusammenhang wohl noch erläutern, dass die Höhe des Meeres vor über einem halben Dutzend Jahrhunderten nicht der heutigen entsprach. Der norddeutsche Raum war zum großen Teil überschwemmt und nur einzelne Erhebungen wie der Fläming, Barnim oder einzelne kleine Berge ragten wie Inseln aus dem Wasser der Ostsee. Kozebus hatte einen Hafen mittlerer Größe und Störtebeker heuerte auf einem Schoner an der sich als Piratenschiff herausstellen sollte.

Die Winde brachten ihn in alle Himmelrichtungen. Schnell machte sich Störtebeker einen Namen. Schon nach einigen Jahren konnte der einen Zweimastschoner und eine verwegene Crew von 35 Mann sein Eigen nennen. Er überfiel Schiffe vor der schwedischen Küste, raubte die Insel Bornholm aus und versetze dänische Hafenstädte in Angst und Schrecken. Das Gerücht seines erbarmungslosen und brutalen Vorgehens machte die Runde im gesamten Ostseeraum. Kein Schwede und kein Däne war konnte sich seiner Selbst sicher sein und nur die Friesen entgingen den Raubgelüsten des Piraten, indem der König seine drei Töchter an ihn verheiratete. Die Töchter wurden wegen ihrer unbeschreiblichen Schönheit im ganzen Land gerühmt, doch kein noch so erfolgreicher Handelsmann oder Fürst konnte nun mehr hoffen um die Hand von auch nur einer anzuhalten.

Der Ruhm von Störtebeker rührt nicht nur aus seinem unbarmherzigen Vorgehen und Raubzügen her, von seiner zweimannshohen Gestalt oder den unzählbaren Mengen an Reichtümern, die er in all den Jahren aufhäufte. Er rührt auch her von seinem unglaublichen Durst, von seinem Vermögen, ganze Schiffsmannschaften unter den Tisch zu Saufen. So erhielt er auch schon zu Beginn seiner sagenumwobenen Piratenkarriere den Namen Störtebeker, was soviel heißt wie „Stürz den Becher“.

Das viele Geld, das Gold, die Unmengen an Edelsteinen, die Masse an Reichtümern wusste Störtebeker gut zu verstecken. Oft war er in den inselreichen Gewässern des heutigen Brandenburgs unterwegs. Berlin war ein kleines Fischerstädtchen, doch er wusste diesen Ort zu schätzen. Die verängstigte Bevölkerung kannte die Horrorgeschichten des Störtebeker, wie er dutzenden Menschen mit nur einem Schlag seines Schwertes den Kopf herunterhaut, wie er nichts als verbrannte Erde hinterlässt und doch immer ein paar arme Seelen am Leben lässt, auf das diese von den schauderhaften Geschehnissen berichten konnten. Und so taten die einfachen Menschen Berlins nur das Beste um Störtebeker zufrieden zu stellen und er danke es ihnen indem er sie verschonte.

Das Dorf Berlin nun war umgeben von zahlreichen kleinen Inseln, welche Störtebeker als Verstecke für seine Reichtümer auserwählte. Nicht einmal seine engsten Bekannten kannten die Verstecke und jeder, den er anheuerte um neues Gold dort zu vergraben, wurde nach getaner Arbeit enthauptet (meist waren dies arme Fischersjungen die dies, ihrem sicheren Tode bewusst seiend, nur taten, weil Störtebeker versprach, was er auch immer einhielt, die ebenso elenden Familien fürstlich zu entlohnen). So vergrub er seine Schätze auf Inseln die heute unter den Namen Hasenheide, Humboldthain, Viktoriapark oder Wuhlheide bekannt sind. Jedoch hat man in den letzten Jahrhunderten nie auch nur einen Goldtaler oder Edelstein an besagten Orten gefunden. Das einzige, was zuhauf ausgegraben wurde, waren die Skelette junger Männer – und das zu hunderten.

Viel profitieren von seinen Reichtümern konnte Störtebeker jedoch nicht. Auf seinen Kopf war ein hohes Lösgeld angesetzt und somit waren viele andere verruchte Gestalten hinter seinem Schopfe her. Und so geschah es, dass er auf den Gewässern der heutigen Havel vor den Toren Berlins in einen Hinterhalt gelockt und nach heftigem Widerstand Mann gegen Mann (wobei die feigen, Fallen stellenden Gegner bestimmt 4:1 im Vorteil waren) festgenommen wurde.

Neben ihm selber hatte man nun auch seine gesamte Mannschaft zum Tode verurteilt. Alle standen aufgereiht am Fallbeil, als Störtebekers letzter Wille erfüllt werden sollte. Jeder seiner Seemänner, an dem er in seiner majestätischen Art vorbei schritt, sollte vom Todesurteil freigesprochen werden. Doch beim siebten Mann wurde ihm das Bein gestellt und er fiel zu Boden. Alle restlichen Seelen inklusive dem alten Störtebeker wurden enthauptet. Und noch heute, so erzählt man sich, treibt der rastlose, kopflose Geist des Störtebekers in den Parks von Berlin sein Unheil. (rob)